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Neue Technologien mit alter Energie?

von Hans-Josef Fell

energie- und technologiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen

1. Segen und Fluch moderner Technik

Energie ist unverzichtbar in der heutigen technisierten Welt. Technik ist praktisch immer verbunden mit Energieeinsatz. Nur noch sehr wenige technische Geräte nutzen die Arbeitskraft von Mensch oder Tier als Energiequelle. Die heutigen Technologien nutzen fast vollständig Fremdenergie auf der Basis von fossilen oder atomaren Energieformen. Heute gibt es fast keine Technologien mehr, die ohne Energieeinsatz auskommen. Umgekehrt ausgedrückt: Erst durch die Nutzung der fossilen und später auch atomaren Energien wurde die heutige Technik überhaupt erst ermöglicht.
Untrennbar verbunden mit der Nutzung von Fremdenergien sind die positiven und von den meisten Menschen gewünschten Auswirkungen moderner Technologien: die weltweite Kommunikation über Internet oder Satelliten, die moderne Apparatemedizin für Diagnose und Therapie, neue chemische Werkstoffe und Produkte, fast unbegrenzte weltweite Mobilität, behagliche Wohnungen, Arbeitserleichterungen in der Industrie, im Haushalt und in der Landwirtschaft.
Erkauft wurden diese von den Menschen erwünschten Nutzungsmöglichkeiten der Technik mit den bekannten Nachteilen des fossil-atomaren Energieverbrauchs: radioaktiv verseuchte Landschaften, z.B. in Weißrussland, Vergiftungen von Boden, Luft und Wasser, von Pflanzen, Tieren und Menschen, gesundheitsschädigende Luftbelastungen aus Schornsteinen und Auspuffen, Zerstörung der natürlichen Umgebung durch Braunkohletagebau oder Uranabbau, abgestorbene Wälder durch Schwefelemissionen; verschmutzte Strände durch Öltankerunfälle; Artenschwund und vor allem die Klimaveränderung. Diese und viele andere Auswirkungen der heutigen Technik bedrohen ernsthaft die menschliche Existenz.
Gleichzeitig wird das gesamte Techniksystem selbst bedroht, durch die Endlichkeit der von ihm selbst benötigten Energieträger. In absehbarer Zeit gehen Erdöl, Erdgas und Uran, später auch die Kohle weltweit zur Neige.

2. Ausweg: Technik mit erneuerbaren Energien

Die Frage ist, ob es überhaupt eine Technologienutzung geben kann, die ohne Existenzbedrohung der Menschheit und ohne Übernutzung der Ressourcen möglich ist. Die naheliegende Antwort lautet: ja - durch eine schnelle und vollständige Ablösung der fossilen und atomaren durch solare Energieträger.
Der Einsatz von Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran muß vollständig ersetzt werden durch Sonnenstrahlung, Wind, Wasser, Biomasse, Meeresenergien und Erdwärme. Die Nutzung der erneuerbaren Energien ist zwar nicht vollständig frei von ökologischen Belastungen, z.B. werden klassische Luftschadstoffe auch bei der Verbrennung von Biomasse freigesetzt. Diese Belastungen sind jedoch marginal gegenüber den globalen Zerstörungen durch konventionelle Energien. Sofern erneuerbare Energien überhaupt Umweltbelastungen hervorrufen, können sie mit vernünftigen Umweltauflagen leicht auf ein erträgliches Maß gesenkt werden.
Natürlich sind mit der Umstellung auf erneuerbare Energien noch nicht alle ökologischen Probleme gelöst. Ein Beispiel ist der Flächenverbrauch des heutigen Individualverkehrs. Er kann durch zusätzliche Maßnahmen minimiert werden, insbesondere technologische oder logistische Lösungen, z.B. die Verstärkung des öffentlichen Verkehrs oder von Leichtmobilen für den Individualverkehr. Die damit erreichte Energieverbrauchsminderung hilft, synergistisch die Umstellung auf erneuerbare Treibstoffe zu beschleunigen.

3. Ursachen für die energetische Fehlentwicklung

Die alles entscheidende Frage lautet: Welches ist die weitreichendste Strategie für eine Umstellung der weltweiten Techniken auf erneuerbare Energien? Zur Beantwortung dieser Frage muss man zunächst die wesentlichen Ursachen für die Fehlentwicklungen in den beiden letzten Jahrhunderten kennen: Die fossilen Technologien haben sich vor allem auf Grund billiger Energiepreise entwickelt. Verschiedene politische Fehlleistungen, die zum Teil auch heute noch wirksam sind, haben dies ermöglicht:
- Öffentliche Forschungsmittelausgaben und Markteinführungshilfen für Unternehmungen im konventionellen Energiesystem haben Entwicklungskosten teilweise entlastet, so dass niedrigere Verbraucherpreise ermöglicht wurden.
- Subventionen für die Nutzung der konventionellen Energien, z.B. Steuererleichterungen für den Betrieb von Kernkraftwerken, senkten die Energiepreise.
- Umlegung der externen Kosten auf Steuergelder entlasteten die Energiepreise, z.B. Reparaturmaßnahmen aus Steuergeldern für den durch Luftschadstoffe verursachten Steinfraß an historischen Bauten, wie dem Kölner Dom.
- Gesetze und Vorschriften förderten die Nutzung und Verschwendung von konventioneller Energie: das Energiewirtschaftsgesetz aus der Zeit des "Dritten Reiches", welches bis 1998 gültig war, Regionalplanungen, Vorschriften für Baumaterialien, Bauplanungen oder Heizungen, das öffentliche Auftragswesen vom Büromaterial bis zum behördlichen Zwang des Parkplatzbaues, u.v.a.m.
Um zukünftige Technologien von der Nutzung konventioneller Energien zu befreien, müssen in allen Bereichen umfassende gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden. Im folgenden soll sich ausschließlich auf Forschungsausgaben und Markteinführungsstrategien beschränkt werden.

4. Umstellung zukünftiger Technologien auf erneuerbare Energien

Entscheidend ist, dass die gesamte Technologieentwicklung diesem Umstellungsziel unterworfen wird. Dies betrifft sowohl die Forschung wie die Markteinführung neuer Technologien. Selbstverständlich gilt dies vorrangig für die Energieerzeugungstechnologien. Statt Forschungen zur Kohlenutzung oder effizienten Erdölnutzung zu unterstützen, sind staatliche Forschungsgelder massiv in die Erforschung der erneuerbaren Energie zu lenken. Aber nicht nur die Energieerzeugungstechnologien müssen Forschungs- und Entwicklungsgegenstand sein, auch die Technologieentwicklung selbst hat sich diesen Zielen in der Zukunft zu unterwerfen. Neue Technologien müssen immer mit dem Grundsatz der Energieeffizienz und der Bereitstellung von erneuerbaren Energien entwickelt werden. So können Auflagen zur Gewährung von Forschungsmitteln gemacht werden.
Zum Beispiel müssten Standby-Funktionen für innovative Haushalts- oder Hifi-Geräte immer unter einem Watt liegen. Dies ist zwar technisch kein Problem, aber dennoch kein Standard. Viele Kleingeräte könnten ihre Energiegewinnung über Solarzellen leisten. Jedes Handy wäre heute dazu in der Lage. Forschungsmittel für die Automobilindustrie sollte es nur noch geben, wenn die Antriebstechnologie hocheffizient und mit einem regenerativen Treibstoff vorgesehen ist, was bei der Brennstoffzelle durchaus der Fall sein kann. Fehlentwicklungen, wie Wasserstoff aus der Elektrolyse mit Kernenergie oder aus klimaschädigendem Erdgas, könnten so vermieden werden.
In der Vergangenheit hat die Technologieentwicklung keine Rücksicht auf solche Zielvorstellungen genommen: Technologische Forschung und Entwicklung war fast immer gleichzeitig eine Forschung zur Anwendung der fossilen und atomaren Energien. Denn es wurde ja eine Energienutzung benötigt. So ist Automobilforschung untrennbar mit der Forschung zur Anwendung von Erdöl verbunden - obwohl dies in den Anfängen nicht zwangsläufig intendiert war: Immerhin lief Rudolf Diesels erster Motor mit naturbelassenem Pflanzenöl, also einem Sonnenenergieträger.

5. Neue Forschungsinhalte sind erforderlich

Noch kaum beachtet, aber unverzichtbar ist eine stärkere Förderung der Grundlagenforschung in den Bereichen der Energieanwendung. Es sind wichtige Fragestellungen zu erforschen, auf die wir heute kaum gesicherte oder keine Antworten haben. Dazu gehören soziokulturelle Forschungen, z.B. warum die meisten Menschen trotz Kenntnis über die globalen Probleme immer weiter an der schädlichen atomar-fossilen Energieverschwendung festhalten und welche Konsequenzen die Politik daraus ziehen müsste.
Wichtig sind Erkenntnisse aus der Natur selbst, die ja perfekt die effiziente Sonnenergienutzung über Jahrmillionen hinweg entwickelte. Welche Möglichkeiten ergeben sich aus den Erkenntnissen der Bionik, der biotechnologischen Materialforschung oder der pflanzlichen Ernergieumsatzforschung für die Technologien der Menschheit? Dies ist bislang ein grob vernachlässigter Forschungszweig. Helmuth Tributsch hat darauf zu Recht immer wieder hingewiesen (Tributsch 2000: 15).
Neue Forschungsansätze, die im Bereich der Energieeinsparung Erfolge versprechen, sind zu forcieren, z.B. weiße Leuchtdioden, die unser Licht wesentlich effizienter aus Strom erzeugen könnten als heutige Energiesparlampen oder verschwenderische Glühbirnen. Neue, zu unterstützende Ansätze gibt es auch in der Chemie, wo bislang über die stoffliche Nutzung von Erdöl, z. B. in der Kunststoffchemie, indirekt das Treibhaus Erde angeheizt wird. Ersatz für die Erdölchemie ließe sich prinzipiell mit nachwachsenden Rohstoffen herstellen. Dies muss nicht über gentechnische Manipulationen an der Pflanze stattfinden. Bisherige Forschungen gingen vor allem von Pflanzen aus, die den Kunststoff selbst produzieren. Solche Forschungen kommen zu dem Ergebnis, dass kunststoffproduzierende Pflanzen erst dann einen ökologischen Vorteil gegenüber der Petrochemie haben, wenn die gesamten Prozesse vom Anbau bis zur Gewinnung mit erneuerbaren Energien stattfinden (Gerngroß et al., 2000). Um auch den gesamten Kunststoffgrundstoff aus Pflanzen herstellen zu können, sind vermehrt Forschungen zu Kunststoffen aus pflanzlichem Synthesegas oder Pflanzenölen nötig.
Noch unbeachtet, aber aus der Sicht einer modernen Welt ohne zerstörerische Technologien wichtig, ist auch eine Forschung für die Vermeidung von Technologien. So könnten möglicherweise die Ackerbaumethoden von Fukuoka, die ohne Bodenbearbeitung und ohne Mineraldünger auskommen, die Verwendung von Ackerbautechnologien reduzieren (Fukuoka 1999). Ein Traktorhersteller wird dafür keine Forschungsmittel bereitstellen. Allerdings sollte die Grundlagenforschung eines Staates sich auch solchen Technologievermeidungsstrategien widmen, denn sie könnten perspektivisch die volkswirtschaftlichen Gesamtausgaben zur Reduktion von Umweltproblemen verringern.

Literatur

Fukuoka, Masanobu 1999 (1990): Der große Weg hat kein Tor, Nahrung - Anbau - Leben; Darmstadt

Gerngroß, Tilman/ Slater, Steven 2000: Wie grün sind Kunststoffe? in: Spektrum der Wissenschaft Heft 12/2000, S. 59ff.

Scheer, Hermann 1998, (1993): Sonnenstrategie; München

Tributsch, Helmuth 2000: Die vernachlässigte Solarenergieforschung: ein Kardinalfehler, in: Solarzeitalter, Jg. 12, Heft 4, S. 15ff.

Quelle

Vollständiger Text
Technikpolitik: Wie der Mitteleinsatz für Forschung und Entwicklung den Energiemix bestimmt

www.hans-josef-fell.de/cms/component/option,com_docman/task,doc_download/gid,157/Itemid,250/

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