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Schwarmintelligenz der Kleinen oder Kartell der Großen?

von Hannes Koch

Dezentrale Energiekonzepte à la Lichtblick und die zentrale Produktion von Solarstrom in der Wüste, wie sie das Desertec-Konsortium plant, müssen nicht im Widerspruch um die ideale Versorgung stehen.

Auf den ersten Blick könnte der Unterschied kaum größer sein. Da propagiert die Firma Lichtblick aus Hamburg ein revolutionäres Energiekonzept. In Hunderttausenden Wohnhäusern könnten in einigen Jahren Mini-Kraftwerke gleichzeitig Strom und Wärme herstellen. Durch ein intelligentes Netz gesteuert, wird die Elektrizität bei Bedarf in die öffentlichen Leitungen gepumpt und die Wärme verbraucht oder gespeichert. «Schwarmstrom» nennt Lichtblick dieses Konzept - eine große Zahl autonomer Energiebürger bilden das Rückgrat der künftigen Versorgung.

Demgegenüber plant das Desertec-Konsortium gigantische Sonnen-Kraftwerke in der afrikanischen Wüste. Konzerne wie die Deutsche Bank, E.ON und RWE stellen Milliarden-Investitionen in Aussicht. Neue Leitungen durch das Mittelmeer sollen Afrika und Europa miteinander verbinden.

Beide Ideen sind faszinierend. Aber muss man sich nicht Sorgen machen, dass der sympathische dezentrale Ansatz wieder einmal vom großen Kapital mit seinen zentralen Strukturen dominiert und an den Rand gedrängt wird? Führt die ökologisch renovierte Macht der Energiekonzerne und Großbanken nicht zur Verdrängung derjenigen Energie aus dem Netz, die nicht nur sauber, sondern gleichzeitig auch unabhängig produziert wurde?

So argumentiert Hermann Scheer, der Präsident des Verbandes Eurosolar. Er ist ein scharfer Kritiker des Projektes Desertec. Seiner Ansicht nach zementiert es die Dinosaurier-Strukturen in der Energiewirtschaft und behindert den bislang erfolgreichen Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland.

Gerade die Lichtblick-Idee des Schwarmstroms bläst Rückenwind für dezentrale Strukturen. Als das Hamburger Unternehmen über den bevorstehenden Verkauf seiner Mini-Kraftwerke für 5000 Euro informierte, «stürzten die Anfragen auf uns ein», sagt Brigitte Rosenboom. Die Kundenbetreuerin arbeitet in der Lichtblick-Zentraleauf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei am Hafenrand. Bei ihr kommen die Telefonate der Interessenten an, die sich über die neuen Kraftwerke informieren wollen.

«Viele Leute wollen die Anlagen sofort kaufen», sagt Rosenboom. Die Motive seien vielfältig: Manche Kunden sähen das neue Angebot als günstige Gelegenheit, die alte Ölheizung zu ersetzen, andere seien begeistert von der Möglichkeit, den traditionellen Versorgern wie Vattenfall ein Schnippchen zu schlagen. Rund 28 000 Anfragen nach dem Mini-Kraftwerk hat Lichtblick bislang erhalten. Alle haben allerdings die ernüchternde Antwort bekommen: Der Verkauf der Anlagen beginnt erst 2010. Wann andere Städte neben Hamburg versorgt werden können, muss man abwarten.

Was die mögliche Konkurrenz zu Desertec betrifft, ist Lichtblick- Geschäftsführer Gero Lücking sehr entspannt. «Wir haben ein Geschäftsmodell, die haben eine Idee», sagt er mit Verweis auf die Realisierung der Wüstenstrom-Pläne, die noch sehr weit in der Zukunft liegen. Dass sich beide Varianten ausschließen, glaubt Lücking nicht: «Strom aus der Wüste stellt keine Gefahr für uns dar.» Ähnlich sieht das Max Schön, Aufsichtsrat der Desertec-Stiftung. Der vielfältig engagierte Unternehmer aus Lübeck will keinen Gegensatz zwischen den beiden Ansätzen erkennen. Sein wesentliches Argument: «Selbst im augenblicklich vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt projizierten Ausbaustadium im Jahr 2050 würden die Wüstenkraftwerke in der Sahara nur 17 Prozent des Strombedarfs der Europäischen Union decken.» 80 Prozent der produzierten Öko-Energie verbrauche Afrika selbst – unter anderem für die Entsalzung von Meerwasser und die Verbesserung der Wasserversorgung.

Angesichts des von Desertec angepeilten Stromimports von 17 Prozent rechnet Lichtblick-Geschäftsführer Lücking ganz schlicht: «Es bleibt Platz für 83 Prozent des Strombedarfs, den andere, auch einheimische Anbieter regenerativer Energie, decken können.» Somit sei klar: Die beiden Vorhaben würden sich ergänzen. Auch Nikolaus Supersberger vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie hält die «Polarisierung zwischen dezentral und zentral für problematisch und hinfällig». Viele Energieexperten betrachten den vermeintlichen Gegensatz ebenfalls als Teil einer Luxusdiskussion. Um dem Klimawandel zu begegnen und die Erwärmung der Atmosphäre zu stoppen, seien große Anstrengungen erforderlich. Es gehe vor allem darum, saubere Energie in ausreichendem Maße herzustellen und die fossilen Energieträger zu ersetzen.

Mit dieser Einschätzung einher geht aber auch der Realismus, dass die Konzerne, die heute die Energiewirtschaft dominieren, nicht einfach aufhören zu existieren, sondern sich an den lukrativen Geschäften der Zukunft beteiligen wollen. Zudem dürfte auch künftig genug Kapital auf den Finanzmärkten nach Profit suchen, um Investitionen in der Größenordnung von mehreren hundert Milliarden Euro zu finanzieren. In diesen Dimensionen denkt man bei der Desertec-Stiftung und der unlängst gegründeten Desertec Industrial Initiative, die unter anderem einige Referenzkraftwerke bauen soll.

Max Schön bestreitet, dass Desertec ein Projekt zentralisierter Energieversorgung sei. Die Stiftung und die bisher beteiligten Unternehmen würden mit Forschung, Entwicklung und Planung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass weitere Firmen einsteigen könnten. «Das ist keine zentrale Anlage», so Schön, «es werden viele Kraftwerke mit unterschiedlichen Technologien in mehreren Staaten entstehen.» Das transmediterrane Stromnetz der Zukunft schaffe die Möglichkeit, an vielen Punkten anzudocken.

Daran mag man glauben - oder nicht. Die großen Energiekonzerne, Bankinstitute und Technologieunternehmen werden es sicherlich schaffen, das Desertec-Projekt nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Was dann für andere Firmen übrig bleibt, wird die Zukunft zeigen.

So sind viele entscheidende Fragen augenblicklich noch völlig ungeklärt. Einen zentralen Punkt formuliert Wuppertal-Experte Supersberger: «Eine große Herausforderung stellt die Regulierung dar.» Technisch und politisch mag es irgendwann möglich sein, Solar- und Windkraftwerke in der Wüste zu errichten und Stromtrassen durch das Mittelmeer nach Europa zu legen. Aber wer kontrolliert sie? Welche Institution stellt sicher, dass die «vielen Kraftwerke», von denen Schön spricht, ihren Strom zu fairen Bedingungen in das europäisch-afrikanische Netz einspeisen können? Welche Netzagentur überwacht die Durchleitungspreise und sorgt für Wettbewerb - auch gegen die Interessen von E.ON, RWE und der Deutschen Bank?

Schon in Deutschland ist die Regulierung des Strommarktes schwierig. Auf europäischer Ebene steckt sie noch in den Kinderschuhen. Ein transkontinentales Netz aufzubauen und zum Nutzen möglichst vieler Staaten, Unternehmen und Kunden zu betreiben, erscheint angesichts dessen als wahre Herkulesaufgabe.

Desertec-Aufsichtsrat Schön hilft sich derweil mit der Annahme, dass die Struktur der Energiebranche künftig sehr viel andersaussehen wird, als wir es heute gewohnt sind. «Neue Akteure stehen in den Startlöchern», so Schön. Er verweist auf die erklärte Absicht von Kommunikationsunternehmen wie Cisco und Google, in intelligente Stromnetze zu investieren.

Angesichts solcher Aussichten kann die alte Frage «zentral oder dezentral» in der Tat nebensächlich werden. Vielleicht findet E.ON in Google einen Konkurrenten auf Augenhöhe. Damit allerdings technologische und ökonomische Macht nicht doch zu Monopolstrukturen führen, sollten die Regierungen nördlich und südlich des Mittelmeeres das Desertec-Projekt durch ein Regulierungsmodell ergänzen. Die Firmen haben daran weniger Interesse, dies ist eine Aufgabe der Politik. Auch Max Schön sagt: «Die Regulierung ist eine offene Frage.»

böll THEMA. Going green.

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