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Als car-sharing politisch war

von Christian Scherf

Vor 40 Jahren: Zu Gütern und Diensten des Gemeinwohls kann auf vielen Wegen Zugang geschaffen werden. Eine Episode der Verkehrsgeschichte zeigt das Autoteilen als Form der politischen Praxis.

Aktion Roter Punkt war ein Protest auf die Fahrpreiserhöhung im öffentlichen Nahverkehr vieler westdeutscher Städte nach 1968. Kritiker_innen riefen zum Boykott der öffentlichen Verkehrsmittel auf, um stattdessen Mitfahrgelegenheiten in Privatautos zu organisieren.

Hilfsbereite Autofahrer_innen konnten einen knallroten Papierpunkt gut sichtbar hinter die Autoscheibe legen. Das Papierchen diente nicht nur der Solidaritätsbekundung, sondern galt auch als Zeichen, dass Passant_innen jederzeit beim betreffenden Privat-Pkw zusteigen konnten.

Bestreikte Straßenbahn- und Busstationen dienten als Sammelstellen. Initiiert von Kreisen der studentischen Opposition, erhielt die Aktion breiten Zuspruch aus der städtischen Bevölkerung und eine bemerkenswerte Dynamik. Der spätere Politikprofessor Michael Vester, der die Aktion mit einer Studiengruppe der TU Hannover begleitete, sah gar "Elemente einer Kulturrevolution".

Zuletzt war solch eine weitgehende Kollektivierung der Verkehrsmittel in den Tagen des Spanischen Bürgerkriegs zu beobachten, als es z.B. im republikanischen Barcelona kaum noch Privatfahrzeuge gab.

Die Stadtverwaltung Hannovers ließ schließlich selbst Tausende roter Punkte drucken. Tageszeitungen machten mit. Die Fahrpreiserhöhung wurde zurückgenommen und der Nahverkehr in Hannover kommunalisiert.

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