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Der Automobilpakt - Politik in der Industrie als Lösung?

von Christian Scherf und Nikolai Wolfert

Swen Schulz denkt über die Zukunft Deutschlands nach. Wenige Meter vom Brandenburger Tor entfernt liegt sein Büro. Im Bundestag entscheidet er für die SPD im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Hier werden die Grundlagen für Innovationen von morgen gelegt. Zur Lage der Nation befragten ihn Christian Scherf und Nikolai Wolfert von technik-politik.de.

technik-politik: Endlich hat Deutschland ein Wahlkampfthema: Opel. Der Eingriff des Staates ist keine Frage des ob, sondern des wie. Traditionell drängt die SPD auf den Erhalt der 25'000 Stellen bei Opel. Kurzfristig können so Existenzängste abgebaut werden. Sollte die SPD nicht auch auf nachhaltige Veränderungen bestehen, wie mehr Mitbestimmung oder ökologischeren Produkten?

Swen Schulz: Ja, das sind sicherlich richtige Ziele, die die SPD auch verfolgt. Aber wenn man das verkoppeln würde mit der Frage, wie es jetzt mit Opel weitergeht, dann fürchte ich, würde man nicht in angemessener Zeit zu einer Lösung kommen. Eine Lösung, die den Beschäftigten sofort hilft. Opel braucht ja aktuell Hilfe. Deswegen würde ein Draufsatteln von Bedingungen, so sinnvoll das auch vom Grundsatz her ist, die Gefahr bergen, dass Opel kaputt geht und wir uns dann um ökologischere Produkte und Mitbestimmung keine Gedanken mehr machen müssen. Natürlich weist die Krise aber darauf hin, dass wir über die aktuelle Frage hinaus uns mit der Automobilwirtschaft Gedanken machen müssen, wie sie sich in Zukunft aufstellt.

In den USA werden Kredite nicht bedingungslos an General Motors und Chrysler ausgegeben, sondern Innovationen in der Elektromobilität staatlich eingefordert. Warum schließen Sie ein solches Vorgehen in Deutschland kurzfristig aus?

Das schließe ich kurzfristig aus, da es hierfür keine parlamentarische Mehrheit gäbe. Was wir gemacht haben, ist zusätzliche Mittel in den Forschungsetat zur Entwicklung von zukunftsträchtigen und vor allem auch ökologischen Antrieben bereitzustellen. Das ist ein Aspekt, der auf zukünftige Angebote oder Anreize abzielt. Zumal auszuwerten ist, welches Instrument zum besten Ergebnis führt.

Opel ist kein Einzelfall, sondern steht für die gesamte Automobilindustrie, die angeschlagen am Boden liegt. Welche Ideen hat die SPD, um die Industrie wieder fit für die Zukunft zu machen?

Das wäre schön, wenn wir das könnten. Dann hätten wir sicher einen Nobelpreis verdient. Im Ernst: zunächst geht es in der Tat darum, wie und mit welcher Lösung wir Opel und die Beschäftigten unterstützen. Jenseits der Frage, wie sich die Abwrackprämie kurzfristig auswirkt, müssen wir aber auch dazu kommen, dass die Automobilbranche von der Politik klare Ansagen bekommt: „Ihr könnt nicht ewig so weiter machen und keine neuen Antriebe entwickeln. Wenn ihr Probleme habt, dann auf den Staat zu setzen, damit der euch mit dicken Subventionen rettet.“ Die Automobilindustrie und ihre Zulieferbetriebe sind die bedeutendste Industrie Deutschlands mit einer weitreichenden psychologischen Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung. Damit sind die Automobilunternehmen sehr einflussstark und mächtig im Abfordern von staatlicher Hilfe. Die aktuelle Situation fordert darum eine Art Automobilpakt. Nach 2 Jahren staatlicher Unterstützung - sei es die Abwrackprämie, Bürgschaften oder Forschungsmittel - muss dies beendet werden. Dann müssen sie wieder aufgestellt sein auf dem freien Markt. Marktwirtschaft bedeutet auch, dass Unternehmen pleite gehen können.

Der staatliche Interventionismus in der Finanzwirtschaft (Commerzbank, Hypo Real Estate) und der Industrie (die Abwrackprämie für die Automobilbranche) ist also nur von kurzer Dauer?

Ich bin überzeugt vom Konzept der Marktwirtschaft, dort wo es nicht um öffentliche Daseinsvorsorge geht. Ich bin nicht dafür, dass das Verhalten von Marktteilnehmern dazu führt, dass Bürgerinnen und Bürger, die gesamte Volkswirtschaft, die Gesellschaft unzumutbare Entwicklungen hinnehmen. Darum brauchen wir staatlichen Einfluss. Doch wie jetzt ein Auto konzipiert werden muss und ob BMW mehr oder weniger Gewinn macht, ob Firma xy pleite macht: das ist Bestandteil einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Die muss sozial ausgerichtet sein, aber die soziale Ausrichtung kann nicht darin bestehen, dass es in Gewinnzeiten heißt: „Staat lass mich in Ruhe und ich möchte am liebsten meine Gewinne in Steueroasen transferieren, aber wenn ich Probleme bekomme, dann klopfe ich beim Staat an und will Milliarden haben.“ Dieses Prinzip - Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren - kann die SPD nicht dulden.

Kann man gewährleisten, dass Subventionen nicht in den Chefetagen hängen bleiben, sondern auch der kleine Mann am Fließband unterstützt wird?

Wenn ich von einem "Automobilpakt" spreche, wird darin auch geregelt, dass es Beschäftigungsgarantien gibt.

Die Krise fordert zum Wandel. Die "Selbstheilungskräfte des Marktes" waren eine Illusion von vorgestern. Das Dogma des unendlichen Wachstums hat zu Überkapazitäten geführt, die Opel gegenwärtig in die Knie zwingen. Hat man nicht zu lang auf industrielles Wachstum gesetzt ohne Rücksicht auf Verluste?

Ja.

Die neoliberale Regel "keine Industriepolitik ist die beste Industriepolitik" wird von der Bundesregierung in den Papierkorb geworfen. Die aktuelle Situation bietet doch die historische Chance endlich eine solidarische und ökologische Industrie zu gestalten. Wie nutzt die SPD die Gunst der Stunde?

Ich will ganz ehrlich sein. Die SPD ist jetzt dabei im Zuge der Krise ein Stück weit die eigene Programmatik aus den 80er und 90er Jahren wieder zu entdecken, die in den letzten Jahren nicht mehr so intensiv gepflegt wurde. Wir sind, was den Bereich ökologischen Bewusstseins anbetrifft, sehr weit. Auch in der Bundestagsfraktion und durch Sigmar Gabriel, der das Thema als Umweltminister sehr stark forciert hat. Er fordert eine Energiewende, denn nur so haben wir mit Blick auf Energieschonung auch langfristig eine Chance volkswirtschaftlich zu bestehen. Da sind wir gut aufgestellt. Welche Verantwortung hat Wirtschaft für das Gemeinwesen? Das sind klassische sozialdemokratische Themen, die auf die heutige Situation gemünzt werden müssen. Es sind klassische sozialdemokratische Ansprüche an Politik und an Wirtschaft: Die Wirtschaft in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Allerdings hatten neoliberal-dominierte Debatten seit Reagan, Thatcher in der SPD stark Einzug gehalten. Ich will mich da auch nicht herausnehmen. Da müssen wir Altes neu entdecken.

Hatte die Krise einen Aha-Effekt für Sie, dass der neoliberale Diskurs nicht mehr so weiter gehen kann?

Wenn man so will: Ja. Es gab schon vorher einige Anzeichen. Die Privatisierungslogik wurde in der Berliner SPD in sehr intensiver Debatte gebrochen. Wir haben aus Fehlern der letzten 10 Jahren gelernt. Darum haben gerade Berliner Sozialdemokraten gegen die geplante Teilprivatisierung der Deutschen Bahn gestimmt - auch ich. Dennoch hat die SPD die Privatisierung mehrheitlich mitgetragen. Mit dem Crash wurde der Börsengang der Deutschen Bahn AG abgesagt. Erstmal nur aus zweckmäßigen Überlegungen, weil im Moment nicht genügend Geld auf den Märkten zu erlösen war. Doch die ganze Diskussion ist inzwischen weitergegangen, weil wir uns sagen: “Was heißt es zu privatisieren? Welche Rolle hat der Staat? Warum wollen wir eigentlich die Bahn an Private verkaufen? Mit welchem Ziel? Was ist unsere Vorstellung von Bahn? Was soll die Bahn? Soll sie international als Logistikunternehmen agieren oder wollen wir einfach nur als Staat sicherstellen, dass die Bahn Leute von A nach B fährt?“ Das ist der Anspruch, den die Bürgerinnen und Bürger an den Staat haben. Das muss sicher gestellt werden. Diese Überlegungen greifen jetzt Platz. Wir müssen uns tatsächlich Gedanken machen, wie wir eigentlich in den nächsten Jahren umgehen wollen mit Staat und Gesellschaft und Wirtschaft.

2007 hat die SPD in Hamburg ihre Zukunftsvision des "demokratischen Sozialismus" wieder erneuert. So soll der dritte Weg zwischen zügellosem Kapitalismus und autoritärem Staatssozialismus eingeläutet werden. Was bedeutet das Hamburger Papier für eine aktive Industriepolitik? Soll der Staat sich doch aus wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen heraushalten und bei Rahmenbedingungen bleiben? Kein Staat in der Industrie also?

Es kommt immer auf den jeweiligen Sektor an. Ich war gerade bei der Automobilindustrie. Es ist nicht Sache des Staates in diese Industrie einzugreifen. Er muss aber sicherstellen, dass die Automobile, die verkauft werden, sicher und umweltschonend sind. Dafür muss der Staat aber nicht Anteilseigner von Automobilunternehmen sein. In anderen Bereichen sieht das anders aus. Z. B. beim Bahnverkehr oder der Versorgung mit Strom und Wasser. Das sind Bereiche, da muss der Staat wesentlich aktiver sein und gegebenenfalls Unternehmen besitzen. Das Hamburger Grundsatzprogramm ist eine sehr gute Grundlage, da sind sozialdemokratische Linien definiert worden. Trotzdem müssen wir überlegen, wie eine Brücke in die Zukunft aussieht.

Nachdem der Markt in Verruf geraten ist, aber auch der Staat nicht Retter für alles und jeden sein kann, gibt es einen Hoffnungsträger: die Zivilgesellschaft. Muss man diese dritte Säule nicht angesichts der Krise neu überdenken?

Neu überdenken würde ich nicht sagen. Sie ist auf jeden Fall wichtig. Ich gehöre nicht zu den Staatssozialisten, die sagen, der Staat muss alles richten. Es gibt bestimmte Dinge, die der Staat nicht allein machen kann oder sollte. Das zivilgesellschaftliche Engagement hat traditionell und glücklicherweise eine starke Bedeutung.

Ein Blick in die Glaskugel: Aus den Europawahlen gehen die sozialdemokratischen Parteien gestärkt hervor. Man beschließt Sie als neuen Industriekommissar zu ernennen. Auf welche Innovationsfelder setzen Sie? Welche sozialen Innovationen würden Sie einleiten?

Für mich sind Investitionen in Bildung das Zentrale. Das ist die Grundlage, die Basis. In Deutschland und den meisten europäischen Staaten ist im Bereich Bildung einiges aufzuholen. Das hat eine enorme soziale Bedeutung. Eine gerechte Gesellschaft wird nur über gleiche Bildungschancen erzielt. Neben allem was man als Industriekommissar machen muss, um vernünftig Dinge voranzubringen im Bereich der Wirtschaft und der Industrie, würde ich mich bei Forschung und Entwicklung dafür einsetzen, dass die Grundlagen im Bildungssystem beginnend mit Kindertagesstätten, frühkindlicher Bildung, Schulen und Hochschulen gelegt werden.

Herr Schulz, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch

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