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Gibt es geplanten Verschleiß? Teil 1

von Gerhard Bodenstein/ Hans Leuer

Vorspann:

Unter dem Einfluß bekannter Kapitalismuskritiker wie Galbraith, Packard, Nader u.a. gerieten in der Vergangenheit Absatzmethoden privatwirtschaftlicher Unternehmen ins wissenschaftliche und populär wissenschaftliche Kreuzfeuer. Diese Kritik, die sich als spontane Reaktion auf aktuelle Mißstände formulierte, ohne die private Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung grundsätzlich in Frage zu stellen, wird gegenwärtig neu belebt. Beklagt wird, daß mit zunehmender Konzentration und bei stagnierenden Inlandsmärkten die Markteting-Strategien der Unternehmen den Menschen um ein weiteres auf seine Rolle als Verbraucher reduzieren. Die Propagierung des Konsums als zentrales Lebensziel hat das Interesse einseitig auf die Akkumulation und Eigentumsbesitz materieller Güter im privaten Bereich gelenkt. Konsumterror, Mogelpackungen, Mondpreise, Wegwerfartikel und nutzlose Produkte sind die negativ besetzten Kategorien einer Marketing-Politik, die mit verstärkten Nachfrageeinbruch zu kämpfen hat. Diese Expansion und Exzessivität verhindert nicht nur die Erhöhung des Anteils dauerhafter öffentlicher Güter, sondern verursacht auch erhebliche soziale und ökologische Kosten, die weder Hersteller noch Verbraucher tragen wollen. Übermäßige Ressourcenvernichtung und wachsende Entfremdung von der Arbeit bei verstärktem Leistungsdruck werden als weitere Folgen des quantitativen Fetischmus hingestellt.

Die wissenschaftlichen Repräsentanten der "freien Marktwirtschaft" verweisen hingegen auf den Ausnahmecharakter punktueller Fehlleistungen, die nun einmal als Preis für die Freiheit und die Vielfalt der materiellen Güter hingenommen werden müssen. Teilweise verbannen sie die Vorwürfe in fester Überzeugung von der Marktharmonie pauschal ins Reich der Fabeln. Am Beispiel des "geplanten Verschleißes", d.h. der Strategien der Verkürzung der Lebensdauer von Produkten und des beschleunigten Modewechsels, wird im folgenden Beitrag ein wenig Licht in solche "kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten" gebracht. Die Verfasser besprechen ein Gutachten, das im Auftrage der Bundesregierung von der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel vergeben wurde. Unter besonderer Akzentuierung wettbewerblicher Aspekte weisen sie den Gutachter als Apologeten einer heilen Marktwirtschaft aus, der die Wirklichkeit durch Realitätsverleugnung zu legitimieren versucht. Dieser Nachweis wird vornehmlich "werkimmanent" geführt, indem widersprüchliche Aussagen des Gutachters miteinander konfrontiert werden. Gleichzeitig kann der Beitrag als exemplarische Kritik an lobby-manipulierter Wissenschaft verstanden werden.

1. Zum Problem

Die gegenwärtige Wachstums- und Umweltkrise der kapitalistischen Wirtschaftssysteme hat das Augenmerk wieder auf ein Problem gelenkt, das bereits während der sechziger Jahre die einschlägige wissenschaftliche Szenerie beherrschte: auf die Qualitätspolitik der Unternehmen. Synonyme wie "eingebauter Verschleiß" und "geplante Obsoleszenz" fehlen in keiner halbwegs kritischen Marketing-Abhandlung, produzieren eine Vielzahl ökonomisch und soziologisch orientierter Publikationen und sind sogar in die private und politische Alltagssprache eingegangen.

Auf diesen aktuellen Hintergrund überrascht nicht, dass sich auch die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel der Frage "Gibt es geplanten Verschleiß?" angenommen hat. Vor rund zwei Jahren wurde ein entsprechender Forschungsauftrag öffentlich ausgeschrieben, den Zuschlag erhielt der Ordinarius für Volkswirtschaftslehre Prof. Dr. Burkhardt Röper von der RWTH Aachen.

Um das Ergebnis seines Gutachtens vorwegzunehmen: "Es konnte für die Gegenwart kein Beispiel von gV (geplanter Verschleiss, d.Verf.) im Sinne der Definition des Ausschreibungstextes oder des Verfassers ermittelt werden, obgleich eine solche Strategie Wunschtraum mancher Hersteller und Alptraum mancher Käufer von an sich langlebigen Gebrauchsgegenständen [Kühlschränke, Waschmaschinen, Automobilen, dem Beton des Paul-Löbe-Haus'] ist."

Auf welche methodisch und empirisch dubiose Weise "manche Zweifel über die Funktionsfähigkeit einer Wettbewerbswirtschaft und die Bedeutung des Aktionsparameters Qualität, insbesondere der Lebensdauer … ausgeräumt und die Haltlosigkeit mancher Gerüchte nachgewiesen (wurde)", ist Gegenstand der folgenden Anmerkungen.

2. Der pervertierte Auftrag

2.1 Der "sozialkritische" Verschleißbegriff der Kommission

Die Kommission hatte den Begriff des geplanten Verschleißes als Marktstrategie vom Produzenten auf nahezu gesättigten Märkten durch

um dadurch die Nachfrage zu beeinflussen, definitorisch vorgegeben. Schon bald wird deutlich, dass sich das Gutachten durch den "sozialkritischen Unterton" dieser Begriffsbestimmung in seinem Selbstverständnis als wertfreier Wissenschaftler überfordert fühlt: "Dieses Urteil", so formuliert er es in bezug auf die beiden letztgenannten Verschleißvarianten, "muß stets subjektiv bleiben und hat von den jeweiligen Zeitumständen, den jeweils herrschenden geistigen Strömungen und dem Wohlstand der Volkswirtschaften und er einzelnen Individuen auszugehen. Was im Jahre 1975 in Deutschland als angemessen gelten kann, wird vor einem Jahrhundert als unangemessen für die Mehrzahl der Bevölkerung angesehen worden sein"

Was sich hier bereits als deutliches Unbehagen artikuliert, wird dann gegen Ende des Gutachtens wie folgt resümiert:





im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften und in dem der Betriebswirtschaft fehlt, wobei geflissentlich übersehen wird, dass das Handwörterbuch der Absatzwirtschaft diesen Terminus kennt, ganz zu schweigen von den verwandten Stichwörtern wie Marktperiode, Marktvolumen, Marktpotenzial, Marktanteil, Produktlebenszyklus. Der These des Club of Rome von den Grenzen des Wachstums, "einer modernen und wahrhaft globalen Variante des Marktsättigungstheorems", wird mit der Gegenthese von der dynamischen Bedürfnisskala begegnet, wie sie Wilhelm Busch, der Verfasser von "Max und Moritz", in dem Satz einfängt: "Ein jeder Wunsch, wenn er gefällt, kriegt augenblicklich Junge." Dem Ökonomen Leitherer wird ausführlich das Wort eingeräumt, ohne zu erkenne, wie deplaziert die Berufung auf diesen ist: Leitherer geht davon aus, dass die Sättigung eines Marktes durch die Verbrauchsgeschwindigkeit mitbestimmt wird. Wegen der Gültigkeit einer endlichen Verbrauchsdauer (Nutzungsperiode) ist eine absoluten Sättigung nicht erreichbar. Dagegen kann von einer relativen Sättigung (= versorgungsbedingte Sättigung) des Produktmarktes gesprochen werden; Neukäufe sind Ersatzbeschaffungen. Zusätzlich sind verhaltensbedingte Sättigungserscheinungen zu berücksichtigen, die sich etwa äußern in Nachfrageverschiebungen zwischen den Fabrikaten einer Produktgruppe und Bedarfsverlagerungen zu anderen Produktgruppen. Kurzum: Leitherer leugnet nicht den Begriff der Marktsättigung bei einzelnen Produktigruppen und Produkten; er trennt lediglich zwischen der Marktsättigung als gesamt- und einzelwirtschaftlichem Phänomen.

2.2 Der ideologische Verschleißbegriff des Gutachters

Bevor Röper, der Verfasser des Gutachtens, den Begriff der geplanten Veralterung in seinem Sinn definiert, beschreibt er im einzelnen 21 Produkt- bzw. Marketingstrategien, die einen Verschleißverdacht nahelegen: Hierzu zählt er die Qualitäts- und Lebensdauerminderung, die Veralterung durch technischen Fortschritt sowie durch modische und/oder stilistische Variationen. Ferner werden Phänomene wie Mogelpackungen, zu große Verpackungseinheiten, überdimensionierte technische Ausstattungen, die vom Verbraucher nicht genutzt werden können, verzögerte Neueinführungen, Veralterung durch fehlende Ersatzteile, fehlerhafte oder unvollständige Gebrauchs- bzw. Verbrauchsanweisungen, nutzlose Produkte, Produkte mit erschwerter Zweitverwendung usw. angesprochen.

Diese Absatzstrategien werden nun aber weder systematisiert noch stringent weiterverfolgt. In seinem Resümee begnügt sich Röper vielmehr mit der apodiktischen Feststellung "Für die meisten der aufgezählten 21 Punkte lassen sich stichhaltige Argument anführen, die den Vorwurf des gV ganz oder teilweise entkräften, weil andere Funktionen besser wahrgenommen werden können." Welche positiven Funktionen in konkreto gemeint sind, bleibt im Dunkeln. Uns fallen denn auch keine plausiblen Rechtfertigungsaspekte ein, es sein denn, alle Ausdrucksformen kapitalistischer Verwertungsinteressen werden schlechthin zum Paradigma erhoben.

Gegen Ende des "theoretischen" Teils des Gutachtens werden für den Leser ein wenig überraschend zwei neue Begriffe geboren, die den Platz der von der Kommission vorgegebenen Definition einnehmen: "Der an sich und ursprünglich (!) wertneutrale Begriff ‚geplanter Verschleiß' ist im positiven Sinne zu bezeichnen als die Ermittlung einer jeweils für ein Produkt bei einem bestimmten Preis unter der gegebenen und für die im Laufe der Nutzungsperiode zu erwartenden Veränderungen des technischen Wissens und der wirtschaftlichen und sozialen Umwelt optimalen Nutzungsdauer für den Verwender unter Beachtung der für den Verwendungszweck zweckmäßigen Zuverlässigkeit. Geplanter Verschleiß im negativen Sinne bedeutet das bewußte Ansteuern einer für den Verwender suboptimalen Nutzungsdauer bei einem gegebenen Preis, die den diese Strategie anwendenden Herstellern sowie Händlern, Vorlieferanten usw. Vorteile einbringt, indem die Nachfrage nach ihrem Erzeugnissen durch den vorzeitigen Wiederholungs- oder Ersatzkauf zunimmt."

Nun sollte man glauben, dass eine selbstherrlich vorgenommene neue Begriffsbestimmung zumindest das Manko der Operationalität nicht aufweist, gegen das man sich verwahrt. Allein dieser Vorwurf fällt auf die Definition es Gutachters massiv zurück, muss er doch gegen Ende selbst einräumen: Wir zeigten "... gleichzeitig die Problematik auf, für ein bestimmtes Gerät, Fahrzeug oder Kleidungsstück eine optimale Lebensdauer zu ermitteln - Unter anderem fehlt uns der Weitblick, exakt die wirtschaftliche und soziale Umwelt in zehn oder zwanzig Jahren zu ermitteln oder die Veränderung des technischen Wissens." Zumindest in dieser Form wenig praktikabel erscheint auch der Verweis auf den bestimmten (Verkaufs- ?) Preis: Eine exakte Rechnung über die Gesamtlebensdauer muß aus der Sicht des Verwenders die Kosten je Zeiteinheit beachten, wozu etwa auch Reparatur- und Instandhaltungskosten sowie Kosten für entgangene Nutzungszeiten gehören.

Wissenschaftstheoretisch ist anzumerken: Der Unterschied zwischen empirischen und präskriptiven Aussagen liegt darin, dass sich erstere auf eine Beschreibung von Tatbeständen beschränken und letzter zusätzlich positive oder negative Stellungnahmen zum Ausdruck bringen. Röper unterstellt, dass der Verwender als Maßstab wirtschaftlicher Tätigkeit fungiert, ohne zu fragen, ob sich die Adressaten einer solchen Aussage (z.B. die Hersteller) mit dieser Norm identifizieren. Er bringt damit die nicht beweisbare Formel von der Konsumentensouveränität bzw. vom Verbraucher als Scherbengericht mit dem Anspruch auf allgemeine Anerkennung ins Spiel. Ein Werturteil also, denn er hätte die Probleme der Nutzungsdauer auch aus herstellerbezogener Sicht darstellen können: Man ersetze in der zweiten Definition das Wort "negativ" nur durch "positiv".

Ideologisches Denken macht sich typischer Verstöße gegen die Prinzipien der Logik und Erkenntnistheorie schuldig, u.a. in der Form, dass das gewünschte Beweisergebnis in die Begriffsbestimmung aufgenommen wird. Auch das Gutachten reflektiert diese Implikation von Begriffen, da es ausführt, "dass es je nach Definition geplanten Verschleiß geben kann oder auch nicht." Bewußt macht er sich "diese höchst unbefriedigende Feststellung" jedoch zunutze.

Ein - hier notwendig verkürzter - Blick auf die Behandlung des Verschleißbegriffs in der Literatur soll zeigen, dass auch anders hätte verfahren werden können: Ein diskutable Definition es gV ergibt sich bei der Reduktion auf den absatzwirtschaftlichen Instrumentalbereich Produktgestaltung , den die Anbieter - sieht man einmal von gewissen Restriktionen (Qualität der Einsatzfaktoren, staatlichen Auflagen usw.) ab - in ihrem Sinne ausfüllen können. Im einzelnen geht es um die Festlegung

Bezieht man nun die Strategie der Qualitätsminderung und der Beschleunigung modischer Zyklen auf den Bereich der Produktgestaltung, so können Verschleißstrategien einmal die gebrauchstechnischen Qualitäten eines Produktes betreffen, wobei es keinen Unterschied macht, ob das Produkt bereits am Markt eingeführt ist oder ob mögliche Verbesserungen nicht [oder verzögert] vermarktet werden (gebrauchstechnische Obsoleszenz). Zum anderen können Verschleißstrategien im Bereich der Formqualitäten vermutet werden, die sich vor allem im Versuch einer Verkürzung von Mode- und Stilzyklen niederschlagen; technisch bzw. physisch noch brauchbare Produkte werden durch andere ersetzt (psychisch-soziale Obsoleszenz). In der Praxis sind kombinierte Strategien offenbar vorherrschend und deswegen so schwierig zu beurteilen, weil unter dem Deckmantel einer modisch-kurzen Lebensauer die notwendigen gebrauchstechnischen Teilqualitäten eben für diese Lebensdauer programmiert werden. Zu überlegen ist, ob Nutzungsversprechen, die kein Korrelat in einer Teilqualität des Produktes finden, nicht ebenfalls dem Verschleißbegriff zuzuordnen sind. Obsolet sind beispielsweise die Versprechen der Pharmaindustrie bei unwirksamen Medikamenten (Haarwuchs-, Potenz- und Busenmittel) schon im Zeitpunkt des Kaufs.

aktuell: Bundesregierung gegen Obsoleszenzkritiker

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