Zurück zur Startseite

Gibt es geplanten Verschleiß? Teil 2

von Gerhard Bodenstein/ Hans Leuer

zum Teil 1

3. Die Legitimation der Marktwirtschaft durch Realitätsverleugnung

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist immer wieder eine bestimmte Form der Realitätsverzerrung auszumachen: die Projektion es Gesollten [oder Gewollten] auf das Seiende. Auf diese Weise wird der jeweils interessengebundene Standpunkt gegen jeglichen Realitätseinbruch immunisiert: Modelle werden ihrem empirischen Substrat gegenüber autark, auf "dass nicht sein kann, was nicht sein darf". Dem Misstrauen, die Wirklichkeit könne nicht (mehr) mit dem Modell übereinstimmen, wird durch Hereinnahme modellbestätigender Realität begegnet: sei es, dass die Realität modellkonform zurechtgebogen oder die modellwidrige Realität zur Ausnahme bzw. zum Werk exogener Faktoren deklariert wird. Bei all dem geht man einer grundsätzlichen Analyse aus dem Wege, spielt Autoren der unterschiedlichsten Provenienz gegeneinander aus und bedient sich der Sprache als Manipulationsinstrument.

3.1. Die Marktwirtschaft des Gutachtens

Das Modell der Marktwirtschaft, in dem "jeder frei wählen kann", hat zu einer wachsenden "Wohlstandmehrung fast aller Bevölkerungskreise" geführt. Zu den üblichen Phänomenen der Wettbewerbswirtschaft zählt weder die Überproduktion noch die Kartellierung von Märkten.

In solcher Idylle kann es dem Hersteller "nicht primär um eine Verkürzung der Verwendungsdauer zwecks Umsatzsteigerung, sondern um das bessere Erreichen anderer Problemfunktionen (gehen)". Gegen eine bewusste Qualitäts- und Lebensdauerreduzierung, eine "ausgesprochen verwerfliche, ethisch anfechtbare Handlung", spricht bereits die verbraucherfreundliche Garantiepraxis: Bei Konstruktions- und Fabrikationsfehlern werden die Mängel "durch Garantie- oder Kulanzleistungen oder gar durch Rückrufe der Modelle zu einer Werkstattüberprüfung (z.B. beim Kraftwagen) behoben, wobei der Hersteller die Kosten zumeist vollständig übernimmt". Die eingeräumten Garantiefristen sind teilweise derart großzügig, "dass allzu lange Garantiezeiten gelegentlich den Vorwurf unlauteren Wettbewerbs auslösten."

Mit diesem Unternehmerbild korreliert ein entsprechendes Konstrukt des Verbrauchers: Dieser ist zwar gelegentlich leichtsinnig, vorwiegend jedoch kritisch. Er hat die Wahl zwischen langlebigen und kurzlebigen Produkten und wird sich bei rationaler Überlegung für das hm genehme entscheiden. Eine solche Fiktion verweist eine Obsoleszenzstrategie von vornherein in ihre Schranken, besteht doch nur bei sinnvoller Lebensdauer der Produkte die Aussicht auf Ersatz- oder Zusatzkäufe beim gleichen Hersteller. Nicht zuletzt gibt es in der Marktwirtschaft Konsumgenossenschaften, "die aus ihrer besonderen sozialen Verpflichtung derartige Praktiken (der geplanten Veralberung, d. Verf.) niemals anwenden dürften...."

Was speziell die Mode betrifft: Bereits die Menschen des 18.Jahrhunderts haben über ihre Verführungskünste geklagt. Launisch und kapriziös, anziehend und abstoßend, ist sie nun einmal nicht mit der Elle des Rationalen zu messen. Der unerklärliche Wunsch der Menschen, insbesondere des weiblichen Geschlechts, besteht halt darin, sich "am modischen Spiel (zu) beteiligen und Freude am Wechsel, am Neuen (zu) haben, wobei nicht erwartet wird, dass es objektiv besser als das Vorherige ist". So beantwortet sich die Frage nach der Machbarkeit der Mode auch von selbst: Hersteller und Händler "können nur Strömungen und latente Wünsche vermuten, wahrnehmen oder registrieren, sie aktivieren und in ihrem Angebot zum Ausdruck bringen".

3.2. Die Wirklichkeit der "Garantien"

Wie sehr auf diese Weise die Realität modellkonform zurechtgestutzt wird, sei beispielhaft an der herausgestellten Garantiepraxis illustriert:

Von Unkenntnis möglicherweise gar bewusster Unredlichkeit, zeugen die Ausführungen zum "Werben mit langen Garantiezeiten". Die seit Anfang 1975 vornehmlich von der Kfz-Branche offerierten Garantien sind darauf zurückzuführen, dass die Ford AG, deren Marktanteil in den Jahren 1972 bis 1974 von 13 auf 10 Prozent gesunken war, in eine lange wohlgehütete Tabu-Zone des Automarktes eindrang. Durch die Verdopplung der Garantie für Neuwagen auf ein Jahr, kombiniert mit einem Abschied von der altvertrauten Aufpreistaktik, versuchte man, verlorenes Terrain zurückzuerobern. Die Konkurrenten musste sich dieser Strategie beugen, da die Konditionenpolitik von den Käufern in Gestalt einer Marktanteilserweiterung zugunsten der Ford-Fahrzeuge auf 13,6 Prozent honoriert wurde.

Wie sehr der Verbraucher gerade unter dem wohlklingenden Wort "Garantie" noch gegenwärtig weitgehend entrechtet wird, erhellt die bereits seit Jahrzehnten dauernde Diskussion um das "selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft" Gewährleistungsausschlußklauseln, die den Käufer - den (dispositiven) Gesetzesvorschriften zuwider - rechtlos stellen, ihn auf faktisch undurchsetzbare Ansprüche gegen Zulieferanten oder auf ein abschließendes Nachbesserungsrecht gegen den Verkäufer verweisen, Kostenklauseln, die dem Verbraucher die Kosten einer Nachbesserung (Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten) überbürden, Vorleistungsklauseln, die ihm zur Kasse zwingen, selbst wenn er noch kein fehlerfreies Produkt erhalten hat, Garantiefristen von weniger als zwei Monaten - das sind noch überwiegend die "Rechte" des "souveränen Verbrauchers", dessen sich insoweit seit geraumer Zeit sogar der Gesetzgeber angenommen hat (vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen [AGB-Gesetz] Bundestagsrucksack 7/3919, insbesondere § 9, Ziffer 10a).

3.3. Röpers Prämissen für Verschleißstrategien

Verstreut im Gutachten findet der Leser jene Voraussetzungen, unter denen Obsoleszenzstrategien für möglich gehalten werden:

Sicherlich wäre es aufschlussreich gewesen, die Voraussetzungen [Ursachen; gez. NW] einer solchen vermachteten Wirtschaft konsequent an der Wirklichkeit zu überprüfen. Das unterbleibt jedoch, offenbar aus Argwohn, die Realität könnte mit den modellwidrigen Prämissen übereinstimmen.

Holen wir es beispielhaft nach: Dass moralische Bedenken unternehmerischen Aktivitäten keine wirksamen Grenzen setzen, bedarf keiner näheren Begründung. Aber auch der Hinweis auf die gesetzlichen Grenzen, über die zu wachen im vorliegenden Kontext vornehmlich dem Bundeskartellamt (BKartA) obliegen könnte, verfängt nicht. Da sind die allgemeinen Gründe der Ineffektivität des Rechts gegenüber wirtschaftlicher Macht: die hohe formale Rationalität des positiven Rechts, die den Konflikt zwischen formaler und materialer Richtigkeit zumeist zugunsten der Formalität ausgehen läßt; das Fehlen eines ausreichenden Instrumentariums in den Fällen, in denen der Gesetzgeber unmittelbar auf wirtschaftlich-technische Tatbestände verweist; die Wirtschaftsfremdheit bzw. die Überforderung der Juristen in Wirtschaftsfragen; die allgemeine Verspätung des Rechts gegenüber der sozioökonomisch-technischen Entwicklung, die sich u.a. in der Nichtreflexion der unmittelbaren politischen Dimension wirtschaftlicher Macht niederschlägt.

Gegen Ende des Gutachtens steht die Frage, "ob sich das BKartA die Funktion eines Qualitätsüberprüfungs-"Kommissars" aufdrängen lassen sollte". Sie ist nicht nur rechtsstaatlich deplatziert, weil alles staatliche Eingriffshandeln nun einmal an das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden ist und nicht politischen Zweckmäßigkeitserwägungen offensteht. Hier wird auch zugestanden, dass jedenfalls eine Prämisse für eine mögliche Verschleißpolitik erfüllt ist.

3.4. Die Auseinandersetzung mit den Kritikern

Mit den Kapitalismuskritikern geht Röper auf der Suche nach dem Obsoleszenzphänomen auf eine besondere Weise um: Bar jeder ernsthaften Auseinandersetzung, in widersprüchlicher Zettelkastenmanier werden Kritiker, die den Begriff nicht ausdrücklich erwähnen, als Zeugen einer von Obsoleszenen verschont gebliebenen Marktwirtschaft benannt. Die anderen hingegen werden in ihrer Beweisnot demaskiert und der Beteiligung an einem "Zitier- und Lobekartell" überführt:

Was renommierte Kapitalismuskritiker nicht explizit benennen, hat die Realitätsvermutung bereits gegen sich. Unter diesem Motto wird schon in er Vorbemerkung auf den "bekannten" polnischen Ökonomen Lange verwiesen, der sich "eingehend mit der Nutzungszeit von Glühlampen (befasst hat; d. Verf.), und zwar ohne ... in irgendeiner Form den Vorwurf des geplanten Verschleißes zu erheben".

Wenn weder Rostow noch Meadows den Begriff kennen, dann hat das Schweigen dieser Autoritäten ebenfalls Indizqualität. Sogar der "ältere Marx" - offenbar gereift und zur besseren Einsicht gelangt - "erhebt .. . in seinem Hauptwerk trotz umfassender Kritik am kapitalistischen System nicht en Vorwurf, Kapitalisten betrieben geplanten Verschleiß zum Nachteil der Verbraucher". Auch Schumpeter und Galbraith, beide prominente Kronzeugen der Obsoleszenzkritiker, haben "niemals den Vorwurf des geplanten Verschleißes im Sinne der künstlichen Veralterung erhoben". Die Skala solcher Zitate ließe sich verlängern.

Die Unredlichkeit dieser Adaptationen lässt sich teilweise dem Gutachten selbst entnehmen: Der "ältere Marx" mit seinen "Kapital"-Bänden musste entstellt deshalb herhalten, weil der jüngere Marx des Jahres 1844 wie folgt zitiert wird: "In dieser Konkurrenz ist dann die allgemeine Verschlechterung der Waren, die Verfälschung, die Scheinproduktion, die allgemeine Vergiftung, wie sie in großen Städten sich zeigt, die notwendige Konsequenz." Ein wenig später wird auch der (ältere) Marx des "Kapital" Bd. 1 mit dem Kürzel ins Gespräch gebracht, "dass die kapitalistische Produktionsweise - die maßloseste Verschwendung der gesellschaftlichen Produktionsmittel und Arbeitskräfte" erzeugt.

In gleicher Weise wird mit den Kritikern umgesprungen, die den Terminus Verschleiß im Munde führen: Sombart, Egner, Marcuse. Insgesamt handelt es sich bei den Obsoleszenzkritikern um "Soziologen, Philosophen und Politikerwissenschaftler oder .... populär schreibende Ökonomen", die - so muss man wohl ergänzen - mehr glauben, denn wissen: So berichtet der Marxist Kozlik in seinem "für en volkswirtschaftlichen Laien" geschriebenen Buch "Der Vergeudungskapitalismus" über die Vielgestaltigkeit der kapitalistischen Vergeudung, u.a. die Erzeugung rasch verschleißender Güter; über die geplante Veralterung im engeren Sinne sagt er freilich nichts.

"Wenig beachtet wird", dass Packard seine Anklage lediglich auf die amerikanischen Verhältnisse bezog und den Deutschen, Schweizern und Österreichern eine (noch) gute Produktqualität bescheinigte, da die Märkte bzw. die Nachfrage in diesen Ländern noch nicht saturiert seien. Auf der 10.Internationalen Studientagung der Stiftung "Im Grüene" geriet er "trotz seiner vorsichtig vorgetragenen Thesen arg in Bedrängnis", u.a. wohl, weil an der Diskussion "auch der Präsident des Bundeskartellamtes, Eberhard Günther, teilnahm". Kurios wird es, wenn Baran/Sweezy gegen Packard mit dem Zitat mobilisiert werden: "Die Arbeiten von Packard enthalten ebenso wie die vielen anderen zeitgenössischen Autoren, die den heutigen "Dreck" durchstöbern, eine Menge nützlicher Informationen, und zugleich zeigen sie, wie Marx sagt, "die Stärke und die Schwäche einer Art von Kritik, welche die Gegenwart zu be- und verurteilen, aber nicht zu begreifen weiß".

4. Die Fragwürdigkeit der empirischen Ergebnisse

Obwohl Röper die Existenz von Veralterungsstrategien eigentlich schon ad absurdum geführt hat, macht er sich ans Werk und untersucht empirisch verschiedene Produktgruppen, auf die besonders häufig ein Verschleißverdacht fällt: Personenkraftwagen, Glühlampen und verwandte Produkte, Elektrohaushaltsgeräte, Schuhe und bestimmte Textilien.

Amtsautoritäten, wie "hohe Ministerialbeamte" im Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium, "prominente Vertreter der Konsumgenossenschaften und der Gemeinwirtschaft", der "Leiter der Stiftung Warentest" , mit denen "eingehende Gespräche" geführt wurden, werden bemüht, um auch hier den exakt und vorurteilsfrei arbeitenden Wissenschaftler zu belegen.

Nicht mitgeteilt wird, inwieweit diese "neutralen" potentiellen Informationsträger fähig und willens waren, überhaupt schlüssige Antworten zu geben. Sogar hinsichtlich des so auskunftskompetent erscheinenden Leiters der Stiftung Warentest bestehen da nicht unerhebliche Zweifel, räumt doch Röper selbst ein: "Sie (die Frage des geplanten Verschleißes, d.Verf.) ist bislang auch nicht von der im Interesse des Verbrauchers arbeitenden Stiftung Warentest untersucht worden." Dass man bei Verbraucherverbänden nicht fündig wurde, überrascht nicht: Ist doch dieses Faktum mehr Beleg für die desolate personelle und finanzielle Situation dieser Interessensorganisationen denn beweiskräftiges Indiz für nicht vorhandene Verschleißstrategien. So bleiben als empirisches Substrat überwiegend nur jene Unterlagen, die von den Herstellern und den organisierten Wirtschaftsverbänden zur Verfügung gestellt wurden, und diese werden denn auch regelmäßig unkritisch übernommen, während vereinzelte Gegenstimmen abrupt in ihre Schranken gewiesen werden.

An dieser Stelle kann nicht das gesamte empirische Material besprochen werden. Nur einige gravierende Widersprüche in den Ausführungen hinsichtlich des Kraftfahrzeugs-, Glühlampen- und Modemarktes seien aufgezeigt.

4. 1 Gebrauchstechnischer Verschleiß bei Personenkraftwagen

Dem Automobilmarkt sind viele Verbraucher "zwangsverbunden"; steigende Preise für Neuwagen und Reparaturen tragen zu erhöhter Kritikbereitschaft bei. Verschleißvermutungen betreffen die Lebensdauer von Fahrzeugen, Blechen, Korrosionsschutzmaßnahmen, (Lackierung), des Auspuffs, der Stoßdämpfer und Kupplung, der Lichtmaschinen, des Motoröls und der Reifen usw. Der Markt ist als oligopolistisch in der Angebotsstruktur zu bezeichnen [Marktmacht] und andererseits gekennzeichnet durch einen hohen Verbraucherorganisationsgrad (ADAC, AvD). Die Verbraucherorganisationen fördern Testreihen, kritische Veröffentlichungen, Besprechungen von Neukonstruktionen usw. erheblich die Qualitätstransparenz ihrer Mitglieder, so dass sich der Anbieter einer eher kritischen Verbraucherrschaft gegenübersieht. Es ist wohl unbestritten, dass die Automobilindustrie in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte in bezug auf Fahrsicherheit und -komfort gemacht hat. Trotzdem halten sich hartnäckig Gerüchte über geplante Verschleißstrategien.

Die durchschnittliche Lebensdauer von deutschen Personenkraftwagen ist nach Untersuchungen des Battelle-Instituts - zu ähnlichen Ergebnissen kommt das Kraftfahrt-Bundesamt - in der Zeit von 1965 bis 1871 von 9,1 auf 9,9 Jahre gestiegen. Diese positive Entwicklung schreibt Röper per saldo entsprechenden Bemühungen der Automobilhersteller zugute, obwohl er auch andere Ursachen für die erhöhte Lebensdauer sieht: So ist etwa die Jahresfahrleistung durch den Trend zum Zweitwagen und durch die Verringerung des Anteils gewerblich genutzter Fahrzeuge stets kleiner geworden; ferner werden Gebrauchtwagen zunehmend von Jugendlichen mit größeren technischen Kenntnissen und erhöhter Bastelleidenschaft erworben. Die Lebensdauer ist daher kaum ein geeigneter Ansatzpunkt zur Falsifikation (oder Verifikation) von Obsoleszenzvermutungen, zumal sich bei veränderter Bezugsbasis andere Werte ergeben: Bezogen auf das Jahr 1958 ist die mittlere Lebenserwartung von Personenkraftwagen im Jahre 1971 um ca. vier Jahre gesunken. Dupuy und Gerin berichten von ähnlichen Entwicklungen in Frankreich. Ferner schwankt die Lebensauer je nach Fabrikat, Konjunkturlage usw. beträchtlich.

Beweiskräftiger sind hingegen Angaben über Einzelteile, etwas über die seit dem ADAC-Test des Jahres 1974 heftig diskutierten Auspuffanlagen. Versuche hatten ergeben, dass durch Verwendung unterschiedlicher Materialien (Edelstahl, Verzinkung u.a.) die Lebensdauer bei akzeptablen Kostensteigerungen erheblich verlängert werden kann. So ist man in Schweden und England schon seit geraumer Zeit zum wahlweisen Angebot von langlebigen Auspuffanlagen übergegangen, die zwischen 40 und 60 Prozent mehr als die Standardsysteme kosten. In Deutschland bietet das VW-Werk für einzelne Modelle (u.a. Golf, Passat, Polo) seit August 1973 eine solche Auspuffanlage gegen einen Aufpreis von DM 55,- an. Angesichts eines ADAC-Umfrageergebnisses, wonach 96 Prozent der befragten Mitglieder den Langzeitauspuff bevorzugen, befremdet es zunächst, dass die VW-Werke von August 1973 bis Anfang 1975 lediglich 463 solcher Anlagen verkauft haben. Die Überraschung löst sich jedoch verhältnismäßig einfach, wenn man weiß, dass sich in den Absatzfördermaßnahmen (z.B. in den Programmbeschreibungen) des Werkes - wohl aus Rücksicht auf das Ersatzteilgeschäft der Vertragshändler - auf das verbraucherfreundlich Angebot nicht hingewiesen wurde.

Was macht das Gutachten aus diesem eindeutigen Sachverhalt? Bei der Aufzählung möglicher Verschleißstrategien nennt er zunächst das Kind beim Namen: "Eine weitere indirekte Obsoleszenzstrategie ist vermutlich nachweisbar. Hersteller weisen nicht in ihrer Werbung darauf hin, dass zu einem Mehrpreis langlebigere Teile zu beziehen sind (z.B. längerlebige, aber auch teurere Auspuff-Anlagen werden 1975 in der VW-Werbung zumeist nicht erwähnt, obgleich sie geliefert werden können). " Im empirischen Teil bringt er eine Fülle technischer Details, resümiert leerformelhaft, "dass die Lebensdauer eines Ersatzteils und damit auch der Auspuffanlage kein Ziel an sich ist", und schwächt seine ursprüngliche eindeutige Aussage dahingehend ab, dass die Absatzförderungsmaßnahmen "nicht besonders erfolgreich waren". In der Zusammenfassung wird der Verschleißvorwurf dann endgültig über Bord geworfen: Nach Wiedergabe eines Briefes des Bundeskartellamtes, in dem darauf hingewiesen wird, dass die Unterlassung der serienmäßigen Ausrüstung mit Langzeitauspuffanlagen als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung aufgefasst werden könne, ist zu lesen: "Auf diesen Fall sind wir bereits ausführlich eingegangen und meinen, dass hier kein Fall von gV vorliegt, wohl aber von der Möglichkeit, durch Gemeinschaftsforschung die Überwindung dieser Schwachstelle zu erreichen."

Die gleiche Widersprüchlichkeit finden wir in den Ausführungen zur Reparaturanfälligkeit. Hier musste bekanntlich erst die Gegenmacht der Allianz-Versicherung auf den Plan treten, um den Automobilkonzernen zu zeigen, wie durch neue Arbeitsmethoden und Schweißverfahren Kosten bis weit über 60 Prozent eingespart werden konnten. Man mag nun darüber streiten, ob das vormalige Desinteresse der Hersteller an kostensparenden Reparaturen lediglich ein teilweises Ruhen des Wettbewerbs auf diesem Markt indiziert oder ob solche Phänomene ebenfalls der geplanten Veralterung (verzögerter technischer Fortschritt [Salami-Taktik]) zuzurechnen sind. Wenig überzeugend ist jedenfalls die Schlussfolgerung von Röper, der die Aufnahme der Verbesserungsvorschläge durch die Hersteller in sein ideologisches Zwangskorsett bringt: "An den genannten Beispielen ist zu erkennen, dass die Automobilhersteller Verbesserungsvorschlägen aufgeschlossen gegenüberstehen und bereit sind, reparaturkostensparende Konstruktionsänderungen vorzunehmen. Diese Tatsache spricht eher gegen als für eine gV-Strategie."

4. 2 Gebrauchstechnischer Verschleiß bei Glühlampen

Dazu berichtete technik-politik.de: Das Glühlampen-Kartell

Angesichts einer erfolgreichen Geheimhaltungspolitik der Unternehmen verwundert nicht, dass nur wenige Gebiete unerforschter sind als die Planungsphasen der Produktion und die Determinanten des technischen Fortschritts. Um so mehr würde überraschen, wenn jene Unternehmen, die das Prinzip der Wettbewerbsfreiheit durch Koordinierung der Preise, Kontingente, Absatzgebiete und der sonstigen Aktionsparameter nachweisbar tausendfach ad absurdum geführt haben, den Bereich der Produktqualität zum Wohle des Verbrauchers tabuiert haben sollten. Daher hat die resümierende Obsoleszenzvermutung des Neoliberalen Mestmäcker, des Vorsitzenden der Deutschen Monopol-Kommission, eine starke Plausibilität: "Überwiegende Anzeichen sprechen dafür, dass die Motivation der Unternehmen auf dem Gebiet des technischen Fortschritts (und der Produktpolitik, d. Verf.) sich von der Strategie bei anderen Investitionen nicht grundsätzlich unterscheidet." Dies gilt insbesondere, wenn Marktmacht sich weltweit in Patentgemeinschaften, Kontingents-, Gebiets- und Preiskartellen formiert. Der Verschleißverdacht, der auf das internationale Glühlampenkartell fällt, hat daher eine gewisse beweisrechtliche Stringenz.

Gestützt auf eine lange Tradition, so z.B auf die Internationale Glühlampen-Preisvereinigung und auf zahlreiche internationale Collaborationsverträge, kam die Hersteller von Glühlampen in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts dahin überein, den durch den Krieg "völlig in Unordnung gebrachten Glühlampenmarkt", auf dem sich ein "ungesunder Konkurrenzkampf entwickelt (hatte)", wieder auf eine feste Grundlage zu stellen. Jahrelange Verhandlungen, an den der deutsche Osram-Konzern (heute Siemens), die amerikanische General Electric Company, die holländischen Firmen unter der Führung von Philips, die gesamte französische Glühlampenindustrie unter der Ägide der Compagnie des Lampes sowie eine Vielzahl englischer, skandinavischer, italienischer und japanischer Unternehmen des "General Patent an Development Agreement" sowie in der Gründung des "Phoebus S.A. Compagnie Industrielle pour le Dévéloppement des l'Eclairage".

Der Weltvertrag, der alle wichtigen Lichtquellen erfasste und auf Halbfabrikte (Draht, Kolben, Röhren, Stäbe etc.) ausgedehnt werden konnte, enthielt u.a. detaillierte Bestimmungen über die gemeinsame Produktions- und Verkaufspolitik: Hinsichtlich der Produktion wurde ein umfassender Erfindungs- und Erfahrungsaustausch vereinbart.

Im Rahmen seiner koordinierten Produktpolitik konzeptioniert das Kartell auch ein Standarisierungsprogramm, über das die Generalversammlung zu wachen hatte. Um sicherzustellen, aß die fixierten Qualitätsnormen eingehalten wurden, mussten die beteiligten Unternehmen einem in der Schweiz errichteten Testlaboratorium Musterlampen überlassen.

Das Standardisierungsprogramm verfolgte in Wirklichkeit wohl andere Ziele, nämlich die Limitierung und Reduktion er Nutzungsdauer sowie die Beseitigung des Qualitätswettbewerbs. Dass primär eine Absatzerweiterung verfolgt wurde, haben führende Kartellrepräsentanten eingeräumt. In einem Schreiben eines Angestellten der General Electric an einen japanischen Lizenznehmer im Jahre 1939: "In Übereinstimmung mit unserer Praxis, Sie von bevorstehenden Wechsel bei unseren Glühlampenprodukten zu unterrichten, möchten wir Ihre Aufmerksamkeit auf eine bewährte Veränderung lenken: 1. Die vorgesehene Lebensdauer von 2330 Glühlampen ist von einer Lebensdauer von 300 Stunden auf 200 Stunden gekürzt worden, die Veränderung wird zum Zuge kommen, sobald die Produktionsbedingungen es erlauben. Es versteht sich, dass keine Publicity oder andere Ankündigungen über diesen Wechsel gemacht werden."

Dass "die technische Entwicklung der Allgebrauchsglühlampen in ihren bestimmenden Grundzügen seit einer Reihe von Jahren als im wesentlichen abgeschlossen ist", wie der "Osram Lichttechnische® Beratungsdienst" in seiner Februarausgabe des Jahres 1952 behauptete, konnten wir bisher nicht so recht glauben, ohne jedoch das Gegenteil beweisen zu können. In dieser Beweisnot kommt uns die folgende Pressenotiz jüngsten Datums wie gerufen: "Bei den großen Elektro-Konzernen im Ursprungsland der Glühbirne blitzte der US-Physiker Donald Hollister mit seiner Idee, Beleuchtungskörper ohne störanfällige Glühdrähte zu produzieren, jedesmal ab: Seine fadenlose Birne soll annähernd zehn Jahre lang brennen können und fast ein Drittel weniger Strom verbrauchen als herkömmliche Glühbirnen. Doch nun hat die aufs Stromsparen erpichte amerikanische Energiebehörde Hollisters drohende Pleite abgewendet: Mit einem 344 000- Dollar-Zuschuss trägt die Behörde dazu bei, dass Hollister sein Konzept erproben kann, bei dem Quecksilberdampf durch magnetisches Induktion zum Leuchten gebracht wird."

4. 3 Psychologischer Verschleiß

Das menschliche Individuum ist kein identisches Abstraktum, sondern Produkt der verschiedenen Gesellschafts- und Wirtschaftsformationen. Eine Analyse der Funktion der psychologischen Obsoleszenz hat daher die sozio-ökonomischen Determinanten mit einzubeziehen. So wie die Toga im römischen Reich den Sklaven und Plebejer vom Bürger trennte, die Kleiderordnungen des Mittelalters Klassen- und Standesunterschiede signalisierten und merkantilen Herrschaftsinteressen dienten, so hat die Mode in der Gegenwart ihren spezifischen Stellenwert: Die sich insgesamt verkürzenden Modezyklen setzten ein erhöhtes frei verfügbares Einkommen bei vielen VerbraucherInnen voraus und bauen wesentlich auf Nutzenkomponenten, die Status, aber auch soziale Anerkennung vermitteln sollen. Zweifellos hat sich ein Wandel in den Einstellungen der KonsumentInnen vollzogen: Weg von dem durch Sparsamkeit und lange Nutzungsdauer geprägten Umgang mit Konsumgütern, hin zur Wertschätzung des Neuen, des modisch Aktuellen. Selbstverständlich wird dieser Umwertungsprozess, insbesondere auch durch de Werbung, handfest s(t)imuliert, indem der Abbau asketischer Wertvorstellungen propagiert, die Schwelle der moralischen Hemmungen gegenüber dem Wegwerfen herabgesetzt und die Geringschätzung gegenüber alten und gebrauchten Dingen zur Schau getragen wird. Es fragt sich eben, wie ein dergestalt beschleunigter Güterverzehr gesamtwirtschaftlich und einzelbetrieblich [und ökologisch] zu bewerten ist.

Dieser grob skizzierten Realanalyse, die auch dem Kommissionsauftrag offenbar zugrunde lag, stellt Röper seine enthistorisierende These von der ewig währenden Mode entgegen. Mode wird definiert als die plötzlich auftauchende (!) massenhafte Nachahmung menschlicher Lebensäußerungen, verbunden mit einem oft rasch und rhythmisch wechselnden Schönheitsempfinden; dies gilt insbesondere für die sich ändernden Bekleidungsweisen. Hier wird also "Eigengesetzlichkeit" unterstellt, man bemüht sich nicht, Zusammenhänge zu durchschauen, sondern erzeugt ohne Bedenken spekulativ, was andernfalls mühsam zusammengesucht werden müsste. "Psychologische Ursachen", "menschliche Eitelkeiten" und ähnliche Konstanten müssen erklären, was Forschergeist nicht zu ordnen vermag [will]. Mit dieser Vorstellung befindet er sich freilich in guter Gesellschaft; denn Ökonomen tendieren hierzulande dazu, für Modephänomene angeborene Verhaltensweisen verantwortlich zu machen und den Modewechsel als Naturschauspiel zu deklarieren. Wenn auch noch nicht endgültig geklärt ist, wie modische Wandlungen im einzelnen entstehen und sich durchsetzen, so dürfen die vorhandenen Wissenslücken och nicht zu Spekulationen und Mystifizierungen verleiten, die dem eigenen Wissenschaftsanspruch widersprechen.

Das Gutachten vertraut eher dem Hauptverband der Deutschen Schuhindustrie, der in einem an ihn gerichteten Brief etwas Licht in den modischen Dschungel bringen soll: Der Verband beschäftige sich mit der Verschleiß-Problematik schon seit Jahren. Hinsichtlich er Verwendung minderer Materialien könne er versichern, dass die deutsche Schuhindustrie - im Gegensatz zu den ausländischen Konkurrenten - einen hochwertigen Konsumschuh produziere. Die Verschleißkomponente Mode würde letztlich vom Verbraucher bestimmt; der Begriff "geplanter Verschleiß" treffe noch am ehesten auf den extrem modischen Schuh zu, der im Ausland produziert werde.

Dieser Hinweis auf das Ausland, der sich wie ein roter Faden durch das gesamte Gutachten zieht, signalisiert deutlich Unsicherheit, die angesichts selbst gebrachter modellwidriger Fakten um so verständlicher wird:

So muss u.a. eingeräumt werden, dass die Schuhwirtschaft mit dem in der Gemeinschaftswerbung verwandten Slogan "Alte Schuhe wirken ärmlich" den psychologischen Verschleiß gefördert hat. Ferner wurde im Sommer 1974 die "Verbrauchergunst" zunächst auf Schuhe mit schwindelerregenden Plateausohlen gelenkt. Als Ärzte und Krankenkassen erhebliche gesundheitliche Bedenken anmeldeten, wurde nicht etwa die Produktion umgestellt, sondern man nutzte die Bedenken im Sinne der Absatzförderung: "Nicht länger als täglich zwei Stunden mit solchen Schuhen gehen. Mehrmals täglich die Absatzhöhe wechseln. Nicht jeden Tag dieselben Schuhe tragen…"

Gegen solche Realität versucht Röper sein Lehrgebäude der nicht machbaren Mode zunächst noch zu immunisieren, indem er das freimütige Bekenntnis des Verbandsführers n Frage stellt und juristische und ökonomische Unwissenheit bekundet: "Das der Arbeitskreis Farbe wie ein Kartell funktioniert, glaubt zwar dessen Leiter, doch handelt es sich eher um eine vertikal und horizontal bewusst aufeinander abgestimmte Verhaltensweise". Hier unterstellt der Glaube an die freie Marktwirtschaft einen Unterschied zwischen (verbotenem) Kartellvertrag und (zulässigem) abgestimmten Verhalten, obwohl beide Koordinationsformen funktional identisch sind, was u.a. den deutschen Gesetzgeber dazu veranlasst hat, das abgestimmte Verhalten ausdrücklich in den Verbotskatalog des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen aufzunehmen.

Sodann tritt Röper - der übermächtigen Realität scheint er nicht mehr durch Verzerrung begegnen zu können - die Flucht nach vorn an: Begleitet von dem obligaten, Unsicherheit verratenden Seitenhieb auf die sozialistischen Länder wird eine erfolgreiche Obsoleszensstrategie als volkswirtschaftlich erwünscht hingestellt: "Falls sich Moden nicht durchsetzen können und große Lagerbestände bei Industrie und Handel liegenbleiben, bedeutet das einen ungeplanten Verschleiß, eine Verschwendung von Arbeitskraft, Rohstoffen und Kapital."

Schluss

Im Urtext des Gutachtens (Fassung vom Mai 1975) war unter der Überschrift "Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens" zu lesen: "Als moralisch verwerflich gilt zu Recht ein gV vom Typ B, der deshalb (!) mit Ausnahme modischer Variationen tatsächlich in Deutschland nicht angewandt wird." Die endgültige Fassung hat eine teilweise Änderung erfahren: "Als moralisch verwerflich gilt zu Recht ein gV vom Typ B, der jedoch mit Ausnahme modischer Variationen in Deutschland trotz wiederholt und hartnäckig geäußerter Verdachtsmomente nicht nachgewiesen werden konnte." Dass es sich hier lediglich um die Korrektur einer Freudschen Fehlleistung handelt, dafür spricht nicht nur die nach wie vor bestehende Widersprüchlichkeit dieses Satzes zum eingangs zitierten Gasamtresümee.

Seitenanfang